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                                                        Königsberg, April 1808
 
 Bester Vater!
 
 Mit uns ist es aus, wenn auch nicht für immer, doch für jetzt. Für
 mein Leben hoffe ich nichts mehr. Ich habe mich ergeben, und in
 dieser Ergebung, in dieser Fügung des Himmels bin ich jetzt ruhig
 und in solcher Ruhe, wenn auch nicht irdisch glücklich, doch, was
 mehr sagen will, geistig glückselig. Es wird mir immer klarer, daß
 alles so kommen mußte, wie es gekommen ist. Die göttliche
 Vorsehung leitet unverkennbare neue Weltzustände ein, und es soll
 eine andere Ordnung der Dinge werden, da die alte sich überlebt
 hat und in sich abgestorben zusammenstürzt.
 
 Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen,
 welcher, der Herr seines Jahrhunderts, eine neue Zeit schuf. Wir
 sind mit derselben nicht fortgeschritten, deshalb überflügelt sie uns.
 Das sieht niemand klarer ein als der König. Noch eben hatte ich mit
 ihm darüber eine lange Unterredung, und er sagte in sich gekehrt
 wiederholentlich: das muß auch bei uns anders werden.
 
 Auch das Beste und das Überlegteste mißlingt, und der französische
 Kaiser ist wenigstens schlauer und listiger. Wenn die Russen und die Preußen tapfer wie die Löwen gefochten hatten, 
                                                        mußten wir, wenn
 auch nicht besiegt, doch das Feld räumen, und der Feind blieb im
 Vorteil. Von ihm können wir vieles lernen, und es wird nicht verloren
 sein, was er getan und ausgerichtet hat. Es wäre Lästerung, zu
 sagen, Gott sei mit ihm; aber offenbar ist er ein Werkzeug in des Allmächtigen Hand, um das alte, welches kein Leben mehr 
                                                        hat, das
 aber mit den Außendingen fest verwachsen ist, zu begraben.
 
 Gewiß wird es besser werden: das verbürgt der Glaube an das
 vollkommenste Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt
 durch die Guten. Deshalb glaube ich auch nicht, daß der Kaiser
 Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem jetzt freilich
 glänzenden Thron ist. Fest und ruhig ist nur allein Wahrheit und
 Gerechtigkeit, und er ist nur politisch, das heißt klug, und er richtet
 sich nicht nach ewigen Gesetzen, sondern nach Umständen, wie sie
 nun eben sind. Damit befleckt er seine 
                                                        Regierung mit vielen Ungerechtigkeiten. Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und
 mit den Menschen. Er und sein ungemessener Ehrgeiz meint nur sich
 selbst und sein persönliches Interesse. Man muß ihn mehr
 bewundern, als man ihn lieben kann. Er ist von seinem Glück
 geblendet, und er meint alles zu vermögen. Dabei ist er ohne alle
 Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht
 und fällt.
 
 Ich glaube fest an Gott, also auch an sittliche Weltordnung. Diese
 sehe ich in der Herrschaft der Gewalt nicht; deshalb bin ich in der
 Hoffnung, daß auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird.
 Diese hoffen, wünschen und erwarten alle bessern Menschen, und
 durch die Lobredner der jetzigen und ihres großen Helden darf man
 sich nicht irre machen lassen. Ganz unverkennbar ist alles, was
 geschehen ist und geschieht, nicht das Letzte und Gute, wie es
 werden und bleiben soll, sondern nur die Bahnung des Weges zu
 einem bessern Ziele hin. Dieses Ziel scheint aber in weiter
 Entfernung zu liegen, wir werden es wahrscheinlich nicht erreicht
 sehen und darüber hinsterben. Wie Gott will; alles wie er will. Aber
 ich finde Trost, Kraft, Mut und Heiterkeit in dieser Hoffnung, die tief
 in meiner Seele liegt. Ist doch alles in der Welt nur Übergang! Wir
 müssen durch. Sorgen wir dafür, daß wir mit jedem Tage reifer und
 besser werden.
 
 Hier, lieber Vater, haben Sie mein politisches Glaubensbekenntnis,
 so gut ich als eine Frau es formen und zusammensetzen kann. Mag
 es seine Lücken haben, ich befinde mich wohl dabei. (...)
 
 Ihrem freundlichen Andenken empfehle ich meinen Mann, auch unsere
 Kinder alle, die dem ehrwürdigen Großvater die Hände küssen, und
 ich bin und ich bleibe, bester Vater,
 
 Ihre dankbare Tochter
 
 
  
 
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