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Früher und entschiedener als jeder andere deutsche Staatsmann hat der Freiherr vom Stein die Einheit Deutschlands als das höchste Ziel deutscher Politik gefordert. Wer ihm des einseitigen
Preussentums bezichtigte, bekam dies zur Antwort.
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Stein hatte seine Laufbahn 1780 als Beamter des Bergwerk- und Hüttendepartements begonnen, wurde 1795 als Oberpräsident für die gesamte westfälische Wirtschaftsverwaltung zuständig und eignete
sich im Laufe der Zeit hervorragende wirtschaftliche und organisatorische Fähigkeiten an. Die modernen englischen Vorbilder waren ihm bekannt.
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1806 war der neunundvierzigjährige Reichsfreiherr seit anderthalb Jahren preussischer Handels- und Finanzminister, ohne jedoch seine Fähigkeiten und Ideen wirksam anwenden zu können. Er
vereinfachte das System der indirekten Steuern, grundlegende Reformen scheiterten an der Bürokratie und Rückständigkeit des preussischen Staates und ihrer wichtigsten Repräsentanten.
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Der recht eigensinnige Charakter des Freiherrn war allgemein bekannt. Wo sein politischer Freund Hardenberg mit dem Florett focht, griff Stein zum Dreschflegel. Mit seinem Auftreten schaffte
er sich am preussischen Hof keine Freunde; die meisten fürchteten ihn. So strotzte seine berühmte Denkschrift vom 27. April 1806 “Darstellung der fehlerhaften Organisation des Kabinetts
und der Notwendigkeit der Bildung einer Ministerkonferenz” vor Grobheiten, war aber inhaltlich korrekt. Stein übte schonungslose Kritik an dem traurigen Zustand der verkommenen
preussischen Staatsverwaltung, insbesondere an dem unsinnigen System der geheimen Kabinettsräte, - und machte zugleich Verbesserungsvorschläge. Er entwickelte das Prinzip der
Fachministerien mit Ministern, die durch Gesetz und Öffentlichkeit in ihr Amt berufen werden. Das monarchische Prinzip war damit teilweise unterhöhlt.
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Stein veröffentlichte seine Denkschrift nicht, sondern gab sie Freunden zu lesen, auch Luise. Diese billigte seine Vorstellungen, konnte sich jedoch nicht mit Steins Werturteilen über
Friedrich Wilhelms Kabinettsräte anfreunden. Haugwitz ein ränkevoller Verräter, schamloser Lügner, abgestumpfter Wollüstling; Köckritz - höchst schädliche und unverständige
Geschwätzigkeit; Lombard physisch und moralisch gelähmt; die gesamte Kabinettsregierung eine ununterbrochene Folge von Verschrobenheit oder von Verworfenheit. Luise ließ Stein auf eine
Reaktion warten.
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Hardenberg erkannte sogleich, dass dieser Schuss nach hinten losgehen würde und man in dieser Form nur das Gegenteil einer Verbesserung erreichen würde. Er wandte sich an Luise, die sich zur
Kur in Bad Pyrmont aufhielt und bat sie um eine Stellungnahme. Diese kam auch sogleich. Luise spendete der Steinschen Denkschrift “den höchsten Beifall”, fand aber die Ausdrücke
zu heftig. Diese müssten getilgt werden, um nicht das Gegenteil zu erreichen. Luise schlug vor, die Denkschrift von mehreren Persönlichkeiten, auch des Militärs, unterschreiben zu lassen. Sie
kannte die Denkweise ihres Mannes nur zu gut. Schließlich forderte Luise noch, den Außenminister Haugwitz zu Rate zu ziehen, ausgerechnet Haugwitz!
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Hardenberg, der mit Haugwitz auf Kriegsfuß stand, fand diesen Vorschlag abstrus. So verschwand Steins Papier erst einmal in der Versenkung. Eines war aber geklärt: Stein, Hardenberg und Luise
waren sich einig, dass etwas geschehen müsse.
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Im Laufe des Sommers 1806 veränderte sich die politische Lage in Europa zu Ungunsten von Preussen. Napoleon, der die Fürsten von Bayern und Württemberg zu Königen gemacht und Preussen vor
kurzem erst Hannover verschafft hatte, verhandelte mit England über eine Rückgabe. Preussen, bis dahin konsequent neutralistisch, bereitete sich auf kriegerische Veränderungen vor. Ein
Verlust Hannovers hätte Preussen in ganz Europa der Lächerlichkeit preisgegeben.
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In dieser Situation entschloss sich General Prinz Louis Ferdinand von Preussen, dem König reinen Wein über die Lage Preussens einzuschenken. Louis Ferdinand verfügte über gute Beziehungen zu
Stein und stand auf vertrautem Fuße zu Luise. Nun wurde die Aprildenkschrift hervorgeholt, überarbeitet und am 2. September 1806 dem König übergeben - nicht ohne sie zuvor von den wichtigsten
Generalen des Heeres und neben Louis Ferdinand auch von etlichen Prinzen, darunter zwei Brüder des Königs, unterschreiben zu lassen. Der König reagierte wütend, verbat sich jedwede
Einmischung. Er kommandierte die Prinzen umgehend zur Armee. Louis Ferdinand, der wenige Wochen darauf in Saalfeld fiel, konnte sich nicht einmal von Luise verabschieden. Stein musste fortan
den Unwillen des Königs ertragen. Luise jedoch unternahm nichts.
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Nach der Entlassung Hardenbergs und nach dem Tilsiter Frieden wurde der Freiherr vom Stein vom König in das Ministeramt zurück gerufen, nachdem dieser ihn noch im Januar ungnädig mit der
Bemerkung, er sei widerspenstig, entlassen hatte. Hardenberg selbst hatte Stein nicht nur als Nachfolger beim König empfohlen, sondern ihn auch zum Wiedereintritt bewogen. Stein sei als
einziger fähig, das herunter gekommene Land wieder zu einem Staat zu machen. Stein ließ sich bis zum 30. September 1807 Zeit, um nach Memel zu kommen. Am 1. Oktober wurde er in die
Amtsgeschäfte eingeführt. Der König übertrug ihm das Amt des Staatsministers. Seine Vollmachten waren nahezu unbeschränkt.
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Luise unternahm alles, um dem cholerischen Freiherrn den Rücken freizuhalten. Sie vermittelte beim König, räumte Hindernisse aus dem Wege, sorgte beim König dafür, dass Steins
Personalforderungen durchgesetzt wurden. Wenn nötig, brachte sie es auch fertig, den aufbrausenden Mann zu besänftigen. In einem Billett an ihn schreibt sie: “Streichen Sie, setzen Sie
zu nach Belieben, ich werde sehr dankbar sein. Senden Sie mir sie bald zurück...”
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Den Freiherr vom Stein erwartete eine Aufgabe von erschreckenden Dimensionen. Nie zuvor und wohl auch nicht danach hat ein Einzelner für sein Vaterland derart wichtige moralische,
wirtschaftliche und geistige Neuerungen bewirkt: die Landreform, jeder konnte jetzt Grund und Boden erwerben, nicht nur der Adlige, Abschaffung des Leibeigentums, das Edikt der Juden, die
Selbstverwaltung der Städte. Die Heeresreform wurde indessen von Scharnhorst und Gneisenau voran getrieben. Wilhelm von Humboldt übernahm 1809 das Kultusministerium, begründete 1810 die
Berliner Universität.
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Stein wäre aber nicht Stein, als dass es diesmal alles hätte glatt vonstatten gehen können. Er ist von Luise enttäuscht, wenn sie sich nicht nachdrücklich genug um ihn kümmert, macht ihr
Vorwürfe. Im Sommer 1808 unterläuft ihm, dem Patrioten, ein schwerer Fehler. Stein, Gneisenau und Scharnhorst schüren die im Volke entstandene Bewegung gegen die Franzosen, natürlich
heimlich, hinter dem Rücken der Franzosen und gegen den Willen des Königs. Stein begeht die Unvorsichtigkeit, in einem Brief die Einzelheiten des geplanten Aufstandes niederzuschreiben. Der
Brief gerät in die Hände des Feindes und wird im Moniteur veröffentlicht. Stein wird wiederum entlassen, während Hardenberg als Staatsminister eingesetzt wird.
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Freiherr vom Stein und die Königin
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Zweifellos gilt der Freiherr vom Stein als Preussens und Deutschlands bedeutendster Reformer. In kaum zwei Jahren bewegte er, wofür anderen ein Menschenleben nicht genügt. Jedoch hätte es
in Preussen keinen Stein ohne Luise gegeben. Zu unbeherrscht war der große Staatsmann, zu dünkelhaft und entschlusslos war der König, als dass dieses Gespann von allein hätte zusammenfinden
können.
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Nach dem Tilsiter Frieden, der das geschundene Preussen halbierte, begann jedoch erst die wirkliche Ausplünderung durch die Franzosen. Kein Tag verging, ohne dass das Land aufs Neue gedemütigt
wurde und noch größere Kontributionen verlangt wurden. Georg Schuster schreibt:
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In der Not dieser Lage erschien der Königin der Freiherr vom Stein, den Friedrich Wilhelm nach Memel berufen hatte, als letzter Rettungsanker des lecken preussischen Staatsschiffs. Zwei harte,
starrsinnige, trotzige Köpfe begegneten sich da. Dass es dem versöhnenden Genius Luisens geglückt ist, die schroffen Gegensätze zwischen König und Minister auszugleichen, ist ihr historisches
Verdienst. Wie ihr das große Wagnis gelungen ist, wird auf ewig ihr Geheimnis bleiben. Sie hat die Wahrheit mit ins Grab genommen.
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Jedenfalls war mit der Verständigung der maßgebenden Männer die Grundlage gewonnen worden, auf der sich das großartige Werk der kühnen Staatsmänner und Militärs erheben konnte, der Stein und
Altenstein, der Schön und Staegemann, der Scharnhorst, Gneisenau, Yorck usw. Gar nicht auszudenken ist, was ohne Luisens stilles Walten geschehen wäre. Ewig wahr bleibt, dass Männer die
Geschichte machen, dass alle großen und schöpferischen Gedanken von Rittern des Geistes ausgehen, die für sie leben und wirken und, wenn es sein muss, zu sterben wissen. Aber ebenso wahr ist,
dass es zu allen Zeiten edle Frauen gegeben hat, die “an dem großen Gewebe der Weltgeschichte mitgewirkt haben, am erfolgreichsten da, wo sie ihre Männer befähigt haben, als rechte
Männer zu handeln und zu streiten.”
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